Auch wenn in vielen Unternehmen die Sehnsucht nach „Normalität“ sehr groß ist. Sie ist nicht realistisch. Egal wohin man blickt: Es bleibt turbulent.

Die großen wirtschaftlichen Umbrüche – Digitalisierung und ökologischer Wandel – werden ihre volle Wirkung erst entfalten. Die weitreichenden Konsequenzen für die Geschäftsmodelle, die Infrastruktur und die Arbeitsorganisation der Unternehmen sind noch nicht abzusehen.

Die geopolitische Lage bleibt instabil und wird noch stärker von vielfältigen Krisen bestimmt sein. Die Auswirkungen auf Absatzmärkte, Lieferketten und internationale Kooperationen sind alles andere als klar.

Auch auf den Arbeitsmärkten sind Unternehmen mehr als gefordert. Trotz hoher Arbeitslosigkeit gelingt es Unternehmen nicht, ihren Bedarf an geeigneten Fachkräften zu stillen. Noch schlimmer: Es fällt ihnen auch immer schwerer, gute Mitarbeiter zu halten.

Damit sind wir mittendrin im Sturm, der das Personalmanagement heute beutelt. Wie kann es wetterfest werden? Welche Ausrüstung braucht es? Welche neuen Handlungsmöglichkeiten gibt es?

Dynamik und Komplexität

Wenn Unternehmen auf große Dynamik stoßen, also stark wirkende Kräfte in ihrer Umwelt erleben, dann versuchen sie oft mit großer Energie, ihr bestehendes System aus Strukturen, Praktiken und Glaubenssätzen zu optimieren. Aber: Je stärker die Dynamik, umso wichtiger wäre es, die Überwindung des bestehenden Systems zu forcieren.

Drei Beispiele, wie das aussehen kann: Nicht (nur) am Recruiting-Prozess, an der Arbeitgeber-Marke oder an den Arbeitsbedingungen feilen, sondern die Arbeit als solche radikal anders organisieren. Mit dem heutigen Geschäft ausreichend Geld verdienen und gleichzeitig einen wesentlichen Teil der Kapazitäten und Kompetenzen in die Vorbereitung eines völlig anderen, zukünftigen Geschäfts stecken. Die Organisation so aufstellen, dass sie ganz natürlich mit dem Einstieg in und Rückzug aus Marktsegmenten umgehen kann.

Wenn Organisationen mit hoher Komplexität konfrontiert sind, also viele Überraschungen erleben, dann gibt es einen starken Impuls zur Vereinfachung. Das ist gefährlich. Einer hohen Komplexität im Außen kann nur mit hoher Komplexität im Inneren der Organisation wirksam begegnet werden.

Das beste „Werkzeug“ zur Bewältigung von hoher Komplexität ist ja ohnehin schon da: Der Mensch. Präziser: Die Menschen und ihre Kommunikation. Die entscheidende Frage angesichts von noch nicht vorhandenem Wissen ist nämlich nicht mehr „Wie lösen wir das Problem?“, sondern „Wer kann es?“. Da helfen keine Standardisierungen, Regeln, Prozesse oder Tools. Sondern nur Rahmenbedingungen, unter denen Menschen gemeinsam ihr Können entwickeln und einsetzen können. Wie kann das gelingen?

Robuste Organisationen für stürmische Zeiten

Es mag überraschen: Wenn die Orientierung schwerfällt, hilft es, sich auf die Wert-Schöpfung zu fokussieren. Damit ist nicht betriebswirtschaftliche Profitmaximierung gemeint. Sondern die Konzentration auf das, was unternehmerisches Agieren eigentlich ausmacht: Etwas wirklich Wertvolles zur Lösung von Kundenproblemen beizutragen.

So trivial es auch klingt, es sorgt in vielen Unternehmen nach wie vor für große Irritation, die folgenden Fragen zu stellen: Wie trägt das, was wir gerade tun (wollen), zur Wertschöpfung bei? Wo wird unsere Organisation von außen, dem Markt, gesteuert und wo nur von oben und internen Referenzen? Wo ermöglichen wir unseren Mitarbeitern wertschöpfendes Arbeiten, wo erschweren oder verhindern wir es?

Dann wird oft sichtbar, dass die Organisation die Menschen daran hindert, wirklich wertschöpfend zu arbeiten. Die gängigen Management-Ansätze führen eben nicht zu einer Fokussierung auf die Wertschöpfung. Sondern sie ver-führen zu einer Orientierung an Jahresprozessen, Budgetplanungen, Reportingstrukturen, Prozessvorgaben, Organigrammen, Stellenbeschreibungen, Karrierepfaden und (modischen) Methodenkoffern – alles nicht geeignet, um Dynamik und Komplexität zu bewältigen.

Umgekehrt gilt: Wenn der Marktzug stärker ist als die Top-Down-Steuerung, wenn die Organisation der Wertschöpfung und nicht dem Management folgt, dann erhöht das nicht nur die Erfolgswahrscheinlichkeit in stürmischen Zeiten. Es ist für viele Menschen auch sehr attraktiv, in solchen Unternehmen zu arbeiten und sich auf das zu konzentrieren, was ihnen am Wichtigsten ist: Mit ihrem spezifischen Können etwas Wertvolles zu leisten.

Paradigmenwechsel für HR

Vieles der aktuellen HR-Arbeit könnte in diesem Sinne kritisch diskutiert werden: Der Beitrag von HR zu den hinderlichen Management-Praktiken. Der Wille und die Kompetenz von HR, systemüberwindend zu arbeiten. Die Aufgabe und Rolle von HR als zentraler Unternehmensfunktion, die oft weit entfernt vom Wertschöpfungsprozess agiert. Ich beschränke mich hier aber auf ein Paradigma, bei dem es oft zu einem Missverständnis kommt.

Wenn Menschen die beste Antwort auf hohe Komplexität sind, dann bestärkt das manche, den Menschen in den Mittelpunkt der Organisation zu stellen. Das entspricht ja auch häufig dem Selbstverständnis und der Positionierung von HR. Es führt aber in die Irre. „Nicht die Menschen stehen im Mittelpunkt, sondern die Tatsache, dass sie sich begegnen.“ hat der großartige Ernst Weichselbaum einmal ein besser geeignetes Paradigma formuliert. Es lenkt den Blick weg vom individuellen Verhalten und richtet den Fokus auf die organisatorischen Verhältnisse, an denen wirksam gearbeitet werden kann.

Die Qualität der Begegnungsmöglichkeiten im Unternehmen erhöhen. Den Freiraum schaffen, damit Menschen selber an der Systemveränderung arbeiten können. Eine Organisation gestalten, in denen Teams die wichtigsten Wertschöpfungseinheiten sind. Das alles sind heute oft zu wenig genützte Handlungsmöglichkeiten für HR, die gerade in turbulenten Zeiten hochwirksam sein können.

 

Dieser Artikel ist (in leicht gekürzter und adaptierter Fassung) im STANDARD erschienen: https://www.derstandard.at/story/2000133663090/eine-robuste-organisation-im-sturm

Photo by Paul Zoetemeijer on Unsplash

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