Das Umfeld für Start- und Scale-Ups ist in den letzten Monaten deutlich anspruchsvoller geworden. Die Investitionen gingen zurück, die Wachstumspläne mussten adaptiert werden. Die Mitarbeiter-Zahlen wurden zum Teil deutlich reduziert.

Vor welchen Aufgaben stehen (schnell) wachsende Start-Ups vor diesem Hintergrund? Was lässt sich aus den Problemen von groß gewordenen Unternehmen lernen? Welche Möglichkeiten haben Gründer und Gründerinnen, um diese Schwierigkeiten zu vermeiden?

Viele von ihnen stoßen irgendwann an ihre Grenzen.

Es ist für sie – weder zeitlich noch inhaltlich – nicht mehr möglich, alle Ideen und Aufgaben, alle Projekte und Probleme im Blick zu haben. Es geht schon gar nicht, sie wirksam zu bearbeiten. Umso erfolgskritischer wird es für sie, die richtigen Menschen ins Unternehmen zu holen. Das ist aufwändig und oft schwierig. Noch schwieriger ist es, sie dann auch im Unternehmen zu halten.

Der Druck, relevante Umsätze zu erwirtschaften, nimmt ihm Lauf der Zeit zu. Gleichzeitig darf die langfristige Entwicklung von innovativen und ertragsträchtigen Produkten und Dienstleistungen aber auch nicht vernachlässigt werden. Dafür braucht das Unternehmen an allen Ecken und Enden unternehmerisches Denken und Handeln. Es ist darauf angewiesen, dass viele Menschen, nicht nur die Gründer:innen, Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen. Mit zunehmender Größe wird das aber immer schwieriger: der oft beschworene Start-Up-Spirit leidet.

Für die Bewältigung dieser Herausforderungen lohnt sich eine Auseinandersetzung mit jenen Unternehmen, die bereits vor 20 oder mehr Jahren gegründet wurden. Um damit so etwas wie einen vorausschauenden Blick in den Rückspiegel zu werfen. Diese Unternehmer und Unternehmerinnen, oft kurz vor der Unternehmens-übergabe, müssen sich häufig (wieder) mit jenen (ungelösten) Schwierigkeiten auseinandersetzen, die sie sich in den ersten Jahren der Unternehmens-entwicklung eingehandelt haben.

Aus den Problemen der groß gewordenen Unternehmen kann man lernen

Ihr Geschäft hängt oft (noch immer) an ganz wenigen Personen. Viele Mitarbeiter schauen vor allem nach „oben“ und vernachlässigen den Blick nach „außen“. Die Unternehmer fühlen sich als ständige Entscheider und Problemlöser ge- und oft auch überfordert. Die Organisationen haben sich „professionalisiert“, um die organisatorischen Wachstums-schmerzen zu bewältigen. Doch damit sind verbunden: Bürokratisierung, Hierarchisierung, Silo-Bildung, Marktferne, der Verlust von Geschwindigkeit und Anpassungs-fähigkeit. In der Folge nehmen Loyalität und Engagement der Mitarbeiter:innen deutlich ab und die Fluktuation deutlich zu.

Wie lassen sich diese Schwierigkeiten vermeiden? Denn natürlich wollen es die heutigen Gründer:innen ganz anders und viel besser machen. Doch Ihre Versuche beschränken sich leider oft auf die Einführung neuer Tools, die Nutzung aktueller Management-Moden oder schlicht und einfach auf modernere Begriffe.

Aus MbO (Management by Objectives) wird dann OKR (Objectives and Key Results), sonst ändert sich wenig. Statt Kästchen zeigen die Organigramme nun Kreise – doch die Organisation bleibt weiterhin eine Pyramide, allerdings jetzt von oben betrachtet. Nachdem die Matrix-Organisation schon etwas altmodisch ist, arbeitet man jetzt mit Squads, Tribes und Chapters (das klingt doch gleich viel agiler). Statt Managern gibt es jetzt Leader, die die heldenhaften Erwartungen nun endlich erfüllen sollen.

Doch wirklich vermeiden lassen sich die beschriebenen Probleme damit nicht. Dafür braucht es mehr, nämlich eine Veränderung der zugrundeliegenden Prämissen der Unternehmensführung und Organisationsentwicklung. Hier sind einige Anregungen dafür:

1. Wachstum ist keine Lösung, sondern ein Problem.

Das spricht nicht gegen Wachstum per se, aber gegen die einseitige Fokussierung auf dieses Ziel. Denn dadurch werden strategische und strukturelle Probleme verdeckt, aber vor allem verschärft. Wirklich gefährlich wird es, wenn das Unternehmen nur überleben kann, indem es wächst. Wenn es nur dann für Geldgeber, Eigentümer:innen und Mitarbeiter:innen attraktiv ist, wenn es eine im wahrsten Sinn des Wortes große Zukunft verspricht. Schaffen es die Gründer:innen, sich nicht in diese Geiselhaft zu begeben, haben sie dauerhaft viel an unternehmerischer Freiheit gewonnen.

2. Der Start-Up-Spirit ist vor allem eine Frage der Struktur, nicht eine der Kultur.

Solange nach einer Gründung alle an einem Tisch sitzen können, von dort einen guten Blick auf die unternehmerische Umgebung haben, sich gegenseitig schnell eine Information oder eine Aufgabe zuwerfen können, klappt vieles fast wie von alleine. Eine Kommunikation von und mit 50 oder mehr Menschen zu organisieren, ist deutlich anspruchs-voller. Dann wird das gemeinsame Verständnis, der klare Fokus auf den Markt und die flexible Zusammenarbeit schwierig bis unmöglich. Wenn es gelingt, das Unternehmen in Form von vielen, kleinen, möglichst autonomen, marktorientierten Teams zu strukturieren, dann gibt es eine gute Chance, sich den Start-Up-Spirit zu erhalten.

3. Je mehr Steuerung, desto weniger Führung.

Dort wo es um wiederkehrende, weitgehend überraschungsfreie Probleme mit bekannten Lösungen geht, kann Steuerung in Form von Anweisungen, Regeln, Prozessen, Zielen und Kontrolle sehr wirksam sein. Doch dort wo es viele neuartige, über-raschende, komplexe Probleme gibt – und das ist im Start-Up-Umfeld fast immer so – ist dezentrale und verteilte Führung in Form von dynamischer Interaktion notwendig, um Kreativität, Schnelligkeit und Flexibilität zu ermöglichen.

Herausfordernd ist, dass wirkliche Führung die Abwesenheit von formeller Macht voraussetzt. Sie braucht die Möglichkeit, dass Menschen ohne Konsequenzen „Nein“ sagen können. Da formelle Steuerung diese Wider-ständigkeit nicht zulässt, verhindert sie sonst die so wichtigen Rückmeldungs-Schleifen, die Voraussetzung für schnelles und wirksames Lernen und Entwickeln sind. Wenn es gelingt, diese unterschiedlichen Logiken von Führung und Steuerung zu unterscheiden und passend einzusetzen, dann kann Führung dauerhaft einen wesentlichen Beitrag zum unternehmerischen Erfolg leisten.

4. Erst durch den Kontext wird Talent zu Können.

Alle Start-Ups sind ständig auf der Suche nach vielen, besonders talentierten Mitarbeiter:innen, um ihr unternehmerisches Vorhaben realisieren zu können. Doch sie übersehen, dass deren Leistung zum großen Teil im Verbund mit anderen Mitarbeiter:innen und in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen erfolgt. Es ist daher oft wichtiger, auf die Passung zum Team und zur Aufgabe zu achten, als ständig nach individuellen Superstars zu suchen.

Sonst passiert das, was viele wachsende Start-Ups immer wieder erfahren müssen: Die von außen geholten, bisher so erfolgreichen Manager und Managerinnen werden nicht und nicht wirksam. Nur wenn der Gestaltung des Kontextes mindestens genauso viel Aufmerksamkeit gewidmet wird wie der Suche nach den besten Talenten, dann werden diese ihr Können auch tatsächlich entwickeln und anwenden können.

Gründer und Gründerinnen können an diesen und vielen anderen Stellen wichtige Richtungsentscheidungen treffen. Sie können die ausgetretenen Pfade vom Start-Up zur Steuerungs-Maschine gehen – und später mit großem Aufwand und oft vergeblich versuchen, sich die unterwegs verlorenen Stärken wieder zurückzuholen. Oder sie ersparen sich diesen Umweg, werfen überlieferte Management-Glaubenssätze über Bord und orientieren die Organisationsentwicklung von Anfang an konsequent und kontinuierlich an unternehmerischer Wertschöpfung.

 

Dieser Artikel ist ursprünglich (in einer gekürzten und adaptierten) Version im STANDARD erschienen: Vier Strategien für Start-ups in Bedrängnis – Karriere – derStandard.at › Karriere

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