Die Zeiten für Start- und Scale-ups sind rauer geworden. Die Investitionen gingen zurück, die Wachstumsmöglichkeiten sind geringer, der Erfolgsdruck ist (noch) größer geworden. Das bringt anspruchsvolle Aufgaben für die Gründer und Gründerinnen mit sich.

Vor diesem Hintergrund ist der anstehende Jahreswechsel vielleicht eine gute Gelegenheit, innezuhalten und sich noch einmal mit dem eigenen Wollen und Können auseinanderzusetzen. Schließlich sind viele Startups ja nicht nur mit einer (hoffentlich guten) Geschäftsidee gegründet worden. Sondern auch mit dem Anspruch, vieles ganz anders und besser zu machen als die etablierten Unternehmen.

Vom Anspruch, es anders zu machen, bleibt oft wenig übrig.

Dazu tragen unter anderem drei Faktoren bei:

1. Wenn Unternehmen schnell und stark gewachsen sind, dann funktioniert die „naive“ Startup-Organisation rasch nicht mehr. Fehlt dann die Phantasie, wie man eine große Organisation anders als gewohnt gestalten könnte, dann landet man fast zwangsläufig bei den bekannten Unternehmensstrukturen.

2. Wenn Investoren und Investorinnen an Bord geholt werden, dann bringen diese viele Erwartungen und Ideen für ein „professionelles Management“ mit. Manchen Gründern und Gründerinnen fehlt dann die Risikofreude, die organisatorische Idee oder auch die Überzeugungskraft, einen anderen Weg der Unternehmensführung zu beschreiten.

3. Wenn das Unternehmen in Krisen gerät – und das passiert aktuell wohl häufiger als in den Jahren zuvor – dann greift man in der Not zu altbekannten Praktiken. Dann muss angeblich alles schnell und top-down entschieden werden. Dann muss vermeintlich straffer gesteuert, eine Maßnahme nach der anderen ergriffen, die Effizienz in den Fokus gerückt werden.

Obwohl es oberflächlich manchmal anders aussieht – hinter der Fassade entsteht dann oft das, was man eigentlich nicht wollte. Eine kleine Kopie der traditionellen Konzerne.

Statt MbO (Management by Objectives) heißt es dann OKR (Objectives and Key Results) – ansonsten muss man den substantiellen Unterschied mit der Lupe suchen. Statt Kästchen zeigen die Organigramme dann vielleicht Kreise – doch die Organisation bleibt weiterhin eine Pyramide, allerdings jetzt von oben betrachtet. Nachdem Matrix-Organisation schon etwas altmodisch klingen, arbeitet man mit Squads, Tribes und Chapters – das klingt doch gleich viel agiler. Statt Managern gibt es dann Leader, die die heldenhaften Erwartungen nun endlich erfüllen sollen – und wenn sie daran scheitern, liegt es wohl an ihnen.

Doch dadurch werden die realen Probleme nicht gelöst, sondern oft sogar verschärft. Denn das Geschäft des Unternehmens hängt oft (noch immer) an ganz wenigen Personen. Die Unternehmer:innen fühlen sich als ständige Entscheider und Problemlöser ge- und oft auch überfordert.

Viele Gründer:innen stoßen dadurch an ihre Grenzen.

Sie sind darauf angewiesen, dass viele Menschen, nicht nur sie selbst, Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen. Doch viele Mitarbeiter:innen werden von der Organisation dazu verführt, vor allem nach „oben“ zu schauen und den Blick nach „außen“, auf den Markt, zu vernachlässigen.

Die Organisationen haben sich „professionalisiert“, um die organisatorischen Wachstumsschmerzen oder die krisenbedingten Herausforderungen zu bewältigen. Doch damit sind verbunden: Bürokratisierung, Hierarchisierung, Silo-Bildung, Marktferne, der Verlust von Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit. Der oft beschworene Startup-Spirit leidet. In der Folge nehmen Loyalität und Engagement der Mitarbeiter:innen deutlich ab und die Fluktuation deutlich zu.

Wie lassen sich diese Schwierigkeiten vermeiden? Dafür braucht es mehr als neue Tools, aktuelle Management-Moden oder professionellere Begriffe. Nämlich eine Veränderung der zugrundeliegenden Prämissen der Unternehmensführung und Organisationsentwicklung. Hier sind einige Anregungen dafür:

Wachstum ist keine Lösung, sondern ein Problem.

Das spricht nicht gegen Wachstum per se, aber gegen die einseitige Fokussierung auf dieses Ziel. Denn dadurch werden strategische und strukturelle Probleme verdeckt, aber vor allem verschärft. Wirklich gefährlich wird es, wenn das Unternehmen nur überleben kann, indem es wächst. Wenn es nur dann für Geldgeber, Eigentümer:innen und Mitarbeiter:innen attraktiv ist, wenn es eine im wahrsten Sinn des Wortes große Zukunft verspricht. Schaffen es die Gründer:innen, sich nicht in diese Geiselhaft zu begeben, haben sie dauerhaft viel an unternehmerischer Freiheit gewonnen.

Der Startup-Spirit ist eine Frage der Struktur, nicht der Kultur.

Solange nach einer Gründung alle an einem Tisch sitzen können, von dort einen guten Blick auf die unternehmerische Umgebung haben, sich gegenseitig schnell eine Information oder eine Aufgabe zuwerfen können, klappt vieles fast wie von alleine.

Eine Kommunikation von und mit 50, 100 oder gar 500 Menschen zu organisieren, ist deutlich anspruchsvoller. Dann wird das gemeinsame Verständnis, der klare Fokus auf den Markt und die flexible Zusammenarbeit schwierig. Wenn es gelingt, das Unternehmen in Form von vielen, kleinen, möglichst autonomen, marktorientierten Teams zu strukturieren, dann gibt es dennoch eine gute Chance, sich den Startup-Spirit zu erhalten.

Je mehr Steuerung, desto weniger Führung.

Dort wo es um wiederkehrende, weitgehend überraschungsfreie Probleme mit bekannten Lösungen geht, kann Steuerung in Form von Anweisungen, Regeln, Prozessen, Zielen und Kontrolle sehr wirksam sein. Doch dort wo es viele neuartige, überraschende, komplexe Probleme gibt – und das ist im Startup-Umfeld fast immer so – ist dezentrale und verteilte Führung in Form von dynamischer Interaktion notwendig, um Kreativität, Schnelligkeit und Flexibilität zu ermöglichen.

Herausfordernd dabei ist, dass wirkliche Führung die Abwesenheit von formeller Macht voraussetzt. Sie braucht die Möglichkeit, dass Menschen ohne Konsequenzen „Nein“ sagen können. Da formelle Steuerung diese Widerständigkeit nicht zulässt, verhindert sie die wichtigen Rückmeldungs-Schleifen, die Voraussetzung für schnelles und wirksames Lernen und Entwickeln sind. Wenn es gelingt, diese unterschiedlichen Logiken von Führung und Steuerung zu unterscheiden und passend einzusetzen, dann kann Führung dauerhaft einen wesentlichen Beitrag zum unternehmerischen Erfolg leisten.

Erst durch den Kontext wird Talent zu Können.

Alle Startups sind ständig auf der Suche nach besonders talentierten Mitarbeiter:innen, um ihr unternehmerisches Vorhaben realisieren zu können. Doch sie übersehen, dass deren Leistung zum großen Teil im Verbund mit anderen Mitarbeiter:innen und in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen erfolgt. Es ist daher oft wichtiger, auf die Passung zum Team und zur Aufgabe zu achten, als ständig nach individuellen Superstars zu suchen.

Sonst passiert das, was viele Start- und Scale-ups immer wieder erfahren müssen: Die von außen geholten, bisher so erfolgreichen Manager und Managerinnen werden nicht und nicht wirksam. Nur wenn der Gestaltung des Kontextes mindestens genauso viel Aufmerksamkeit gewidmet wird wie der Suche nach den besten Talenten, dann werden diese ihr Können auch tatsächlich entwickeln und anwenden können.

Gründer und Gründerinnen können an diesen und vielen anderen Stellen wichtige Richtungsentscheidungen treffen. Sie können die ausgetretenen Pfade vom Startup zur Steuerungs-Maschine gehen – und später mit großem Aufwand und oft vergeblich versuchen, sich die unterwegs verlorenen Stärken wieder zurückzuholen. Oder sie ersparen sich diesen Umweg, werfen überlieferte Management-Glaubenssätze über Bord und orientieren die Organisationsentwicklung von Anfang an konsequent und kontinuierlich an unternehmerischer Wertschöpfung.

 

Dieser Artikel ist eine überarbeitete und aktualiserte Version eines Textes, der ursprünglich im STANDARD erschienen ist: Vier Strategien für Start-ups in Bedrängnis – Karriere – derStandard.at › Karriere

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