Wer mit offenen Augen in das Innenleben von Unternehmen blickt und mit gespitzten Ohren dem Alltag von Menschen in Organisationen zuhört, der kommt zu einem erschreckenden Befund: Das Leid ist groß und weit verbreitet.

Mitarbeiter leiden unter schlechter Organisation und Führung. Führungskräfte leiden unter unrealistischen Erwartungen von Mitarbeitern und Top-Management. Die Top-Manager leiden an der Unwirksamkeit der eigenen Steuerungsversuche.  Die Organisationen leiden unter fehlender Anpassungsfähigkeit, mangelnder Attraktivität und schließlich unter ausbleibendem Erfolg. In Summe hat dieses Leid dramatische Konsequenzen, gesundheitlich und inhaltlich, menschlich und ökonomisch.

Woran kann man eine solche „kranke“, also dysfunktionale Organisation frühzeitig erkennen? Hier ein Überblick über einige Anzeichen, die nicht immer offensichtlich und manchmal sogar kontra-intuitiv sind.

Wenn der Blick nicht nach außen, sondern nach oben geht.

Mitarbeiter können sich nicht auf die Problemlösung für ihre Kunden konzentrieren, sondern müssen sich primär mit dem Management beschäftigen: Top-Down-Vorgaben, Prozessrichtlinien, Reporting-Aufgaben oder Meeting-Kaskaden. Sie kosten viel Zeit, Energie und Motivation – und gehen zu Lasten der wertvollen Arbeit.

Wenn Erwachsene wie Kinder behandelt werden.

Die gängigen Management-Instrumente verhindern Zusammenarbeit auf Augenhöhe, gewöhnen Menschen das Denken ab und erschweren persönliche Entwicklung. Dazu gehören Zielvereinbarungen, Mitarbeiter-Beurteilungen, Feedback-Gespräche, Anreiz-Systeme und vieles mehr. Kein Wunder, dass sich erwachsene Mitarbeiter dann oft wie Kinder verhalten.

Wenn die informelle Struktur destruktiv wird.

Während auf der offiziellen Vorderbühne der Organisation alle beim Business-Theater mitspielen, hält die inoffizielle Zusammenarbeit auf der Hinterbühne den Laden am Laufen. Wird die formelle Organisation zu dysfunktional, zeigt die informelle Struktur ihre destruktive Kraft: Misstrauen, Machtspiele und Mobbing sind nur einige der dann auftretenden Phänomene.

Wenn immer die Führungskräfte schuld sind.

Organisatorische Probleme und Konflikte werden personifiziert und mit der mangelnden Kompetenz der Führungskräfte begründet. Da ist man sich schnell einig, zumindest solange man über die anderen spricht. Dass schlechte Führung keine Krankheit, sondern ein Symptom ist, wird leicht übersehen. Dass die Symptom-Bekämpfung – bessere Führungskräfte-Entwicklung, mehr Steuerung oder gleich neue Manager – dann auch nicht hilft, ebenso.

Wenn der Organisation die Worte fehlen.

Die Kommunikation in der Organisation ist geprägt von Worthülsen des Management-Sprechs, die ohne Konkretisierung keine Bedeutung haben oder für jeden etwas anderes bedeuten. Oft in Englisch, gerne in Akronyme verpackt. Damit zeigt man sich gegenseitig seine Professionalität. Für die wirklichen Probleme gibt es aber oft keine passende Sprache. Dann wird auch nicht darüber gesprochen.

Wenn die internen Projekte immer mehr und die Appelle immer lauter werden.

Bitte nicht noch eins. Es ändert sich ja eh nichts. Jedenfalls nicht zum Besseren. So oder so ähnlich lauten die Reaktionen auf die zahlreichen internen Verbesserungs-Projekte. Allzu oft werden diese skeptischen Erwartungen dann auch bestätigt. Dann kommen schon die nächsten Projekte. Oder es werden aus Verzweiflung die Appelle verstärkt: Ihr müsst eure Haltung ändern. Ihr müsst an Eurem Verhalten arbeiten. Dahinter steckt die Vermutung, dass das Veränderungs-Problem bei den Menschen liegt. Was, wenn das aber gar nicht stimmt?

Wenn der ganze Mensch in den Mittelpunkt der Organisation rückt.

Auf den ersten Blick klingt das toll. Aber: Wenn der ganze Mensch in die Organisation integriert wird, dann wird er schnell mit Haut und Haaren vereinnahmt. Dann muss es persönlich und authentisch werden. Das ganze Ich muss mit all seinen Facetten eingebracht, offengelegt, ja sogar verbessert werden. Das ist gefährlich. Denn in einem Umfeld voller Unsicherheit und Überraschung brauchen Organisationen mehr denn je das individuelle Können und die persönliche Intuition ihrer Mitarbeiter. Umso wichtiger wird die bewusste Unterscheidung zwischen Rolle und Mensch.

Zum Abschluss noch zwei Warnhinweise angesichts der vielen Medikamente, die gerade in Mode sind: Agil. Digital. New Work. Erstens: Es ist keine gute Idee, auf die Diagnose zu verzichten. Welches Problem soll eigentlich behandelt werden? Ist dieses schon wirklich verstanden? Zweitens: Es ist wichtig, den Beipackzettel zu lesen. Neue Methoden können wie Schmerzmittel wertvolle Substanzen enthalten. Durch sie alleine wird sich aber kein Problem beheben lassen. Manchmal stößt man auch auf Mogelpackungen. Dann wird es dadurch sogar noch schlimmer.

 

Dieser Artikel ist (in leicht adaptierter Fassung) im STANDARD erschienen: https://www.derstandard.at/story/2000136143999/sieben-anzeichen-einer-kranken-firma 

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