In den letzten Monaten schildern mir Unternehmer:innen und Geschäftsführer:innen immer wieder ein Dilemma: Auf der einen Seite ist ihnen sehr bewusst, dass es angesichts der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen besonders wichtig wäre, ihr Unternehmen krisenfest und anpassungsfähig zu machen. Auf der anderen Seite fehlt es ihnen dafür häufig an Zeit und Energie. Das laufende Geschäft und die akuten Probleme lassen keinen Platz für neue Ideen oder zusätzliche Initiativen.

In den Gesprächen wird häufig spürbar, dass dem Unbehagen (und gefühltem Unvermögen) die folgende Annahme zugrunde liegt: Dass diese Aufgabe – die Organisation anpassungsfähig zu machen – eine große Sache wäre. Also eine langwierige und beschwerliche Reise, mit vielen Hürden und Widerständen, die es zu überwinden gilt. Es tauchen Assoziationen zu großen Change-Projekten oder umfassenden Transformations-Programmen auf, die es zu planen und umzusetzen gilt. Das schreckt aus guten Gründen ab.

Ich lade dann gerne dazu ein, die Perspektive zu ändern: Was, wenn es gar kein Projekt braucht, sondern die Anpassungsfähigkeit laufend erhöht werden kann? Wenn es die Transformation einer Organisation so gar nicht gibt, sondern sie maximal im Nachhinein als solche beschrieben werden kann? Wenn die Gelegenheiten zur Veränderung eigentlich immer schon da sind und die entscheidende Frage nur ist, ob und wie man sie nützen will und kann?

Dadurch richtet sich der Fokus wieder auf jene Probleme, die meinen Gesprächspartner:innen im Alltag ohnehin im Magen liegen. Dorthin, wo es heute Schwierigkeiten in der aktuellen Wertschöpfung gibt und dorthin, wo sich große Herausforderungen für die Wertschöpfung der Zukunft abzeichnen.

Sehr oft entstehen dann intensive, energiegeladene Diskussionen über die Frage, ob und wie man diese Probleme so lösen kann, dass sie die Anpassungsfähigkeit der Organisation auch über den Anlassfall hinaus verbessern. Das bleibt eine anspruchsvolle Aufgabe. Aber es lenkt den Blick weg von häufig unrealistischen, oft auch unwirksamen Transformations-Vorhaben in ferner Zukunft hin zu einem entschlossenen Pragmatismus der Veränderung im Hier und Jetzt.

Ist eine Organisation erst einmal darin geübt, Probleme mit dieser Brille zu betrachten, dann bieten sich ganz neue Möglichkeiten. Das zeigen auch die folgenden Beispiele aus meiner Beratungspraxis der letzten Monate:

  • Der Vertrieb ist zu wichtig, um ihn den Vertrieblern zu überlassen: Ein neues Produkt verkauft sich schlecht, obwohl es sehr gut zum Bedarf vieler Kunden passt. Statt, wie gewohnt, auf neue Marketing-Kampagnen und schärfere Sales-Ziele zu setzen, entscheidet sich das Unternehmen für einen anderen Weg. Der Vertrieb wird nicht mehr als die Aufgabe einzelner Sales-Mitarbeiter verstanden, sondern als gemeinsame Verantwortung, zu der alle, unabhängig von ihrer Funktion, einen wesentlichen und wirksamen Beitrag leisten.
  • Der Markt ist der beste Team-Entwickler: Nach der Etablierung von neuen Business Teams entsteht der Wunsch nach gezielter Team-Entwicklung. Anstatt, wie oft üblich, Zeit und Geld in tolle Team-Building-Events zu investieren, entscheiden die Teams, sich einen Tag lang intensiv mit ihrem jeweiligen Markt und den Faktoren für ihren Markterfolg auseinanderzusetzen. Dabei wächst, fast nebenbei, eine starke gemeinsame Identität. Es entstehen erste, wertvolle Erfahrungen in der Zusammenarbeit.
  • Die Probleme im Projekt durch weniger Projektmanagement lösen: Wieder einmal steigt und steigt der Aufwand einem Kundenprojekt. Statt, wie bisher, das Projektmanagement zu verstärken und das Projektcontrolling zu verschärfen, entscheidet sich das Unternehmen für einen anderen, differenzierten Weg. Dort, wo es sich um erwartbare, immer wieder auftretende, technische Problemanteile handelt, werden die Routinen mit Hilfe von Checklisten und Standard-Prozessen verbessert. Dort, wo überraschende, neuartige, von sozialen Dynamiken geprägte Problemanteile auftreten, wird die Projektsteuerung aber radikal reduziert. Es geht nicht mehr um das Was und Wie der Problemlösung, sondern nur noch um die Frage, wer für die Problemlösung am besten geeignet ist.
  • Die Mitwirkung am Markterfolg mit einer Gewinnbeteiligung für alle vergüten: Aufgrund der angespannten Lage am Arbeitsmarkt wird der Druck immer größer. Die Bewerber:innen erwarten sich, wie bei der Konkurrenz üblich, variable Gehaltsbestandteile. Auch die aktuellen Mitarbeiter:innen werden zunehmend unzufrieden. Doch anstatt in die verlockende Falle von individuellen Anreizen und ausgefeilten Bonus-Systemen zu tappen, entscheidet sich das Unternehmen dafür, echte Teilhabe am Gewinn zu ermöglichen. Es werden einfache Kriterien für den Markterfolg definiert, deren Erreichung die gemeinsame variable Vergütung aller Mitarbeiter:innen bestimmt. Die relevanten Zahlen stehen allen zu jedem Zeitpunkt auf Knopfdruck zur Verfügung und schaffen so ein neues Bewusstsein für die Mitwirkung am wirtschaftlichen Ergebnis.
  • Die Verschwendung im Unternehmen wirklich reduzieren: Angesichts einer schlechter werdenden Auftragslage muss der Fokus auf die wirtschaftliche Effizienz verstärkt werden. Statt den scheinbar logischen Weg von Prozessoptimierung und Kostenmanagement einzuschlagen, entscheidet sich das Unternehmen dafür, die Verschwendung im Unternehmen nachhaltig zu reduzieren. Es werden gemeinsam jene Zeit- und Ressourcenfresser identifiziert, die die wertschöpfende Arbeit erschweren. Die Mitarbeiter:innen werden von etlichen internen Richtlinien, Freigabeprozessen und Berichtsaufgaben befreit und können sich in der Folge viel besser auf die wirtschaftlich erfolgskritische Arbeit an den Kundenproblemen fokussieren.

Wie immer gilt: Die hier beschriebenen Problemlösungen sind nur im jeweiligen Kontext zu bewerten, sie sind keine Rezepte. Sie zeigen aber, dass es fast jeden Tag die Gelegenheit gibt, die eigene Organisation ein Stück anpassungsfähiger und krisenfester zu machen. Wenn man es wirklich will. Indem man Probleme löst, die ohnehin zu lösen sind und dabei die ausgetretenen Pfade der gängigen Problemlösungsstrategien verlässt. Das fällt erfahrungsgemäß leichter, wenn sich Unternehmer:innen und Geschäftsführer:innen schon mit den Prinzipien von Anpassungsfähigkeit und Krisenfestigkeit auseinandergesetzt haben. Aber selbst, wenn nicht: Auch diese Prinzipien kann man unterwegs gut (kennen)lernen!

 

Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade „Dein bester Tipp für wirksame Arbeit an Organisationen“. Alle Beiträge der Kolleginnen und Kollegen die ebenfalls teilgenommen haben kannst du hier finden: https://dennis-arntjen.de/blog/hacks-fuer-wirksame-arbeit-an-organisationen/