Die letzten Monate und Jahre waren für viele Unternehmen wahrlich reich an Krisen. Egal es ob es sich um die Pandemie, um Lieferengpässe oder um allgemeine (vielleicht davon ausgelöste) wirtschaftliche Schwierigkeiten handelte. Solche Krisenphasen kann man gut als Scheinwerfer auf das Innenleben von Unternehmen verwenden. Was kann man beobachten? Was kann man daraus für die Gestaltung von Organisationen lernen? Welche Erkenntnisse und Aufgaben lassen sich daraus ableiten?

Im Folgenden möchte ich zwei wesentliche Punkte thematisieren. Ich beziehe mich dabei auf das, was man in akuten und neuartigen Krisensituationen erkennen kann (und weniger auf lang andauernde Krisenphänomene). Also zum Beispiel auf die ersten Monate der Corona-Krise (und weniger auf die bis heute andauernde Phase der Pandemiebewältigung)

Erste Erkenntnis: In einer akuten Krisensituation gibt es in der Regel eine große Klarheit über das, was wirklich wichtig ist und eine natürliche Fokussierung von Aufmerksamkeit, Zeit, Motivation und Intelligenz; was da alles möglich ist, wie schnell da Probleme gelöst werden, wie sehr da ganz viele mit anpacken, ist immer wieder aufs Neue beeindruckend.

Das passiert aber nicht nur – wie oft angenommen – weil Krise ist, sondern weil ganz automatisch vieles weggelassen, ausgeblendet, ignoriert wird, was sonst zum Organisationsalltag gehört; weil explizit oder implizit viele Regeln, Prozesse, Praktiken außer Kraft gesetzt werden.

Daraus ergibt sich eine erste Aufgabe: Wie schaffe ich es auch abseits von existentiellen Krisen, die Menschen vom überbordenden Ballast der Organisation zu befreien? Wie kann ich Rahmenbedingungen schaffen, die die innenorientierte Beschäftigung reduzieren und damit mehr Raum für echte wertschöpfende Arbeit schaffen? Wie schaffe ich es, dass der Blick in der Organisation nach außen geht und nicht nach oben? Also nach außen auf den Markt, zu den Kunden, zu den Leistungen, die dort erbracht werden? Und nicht zum Vorstand, zu den Planungen und Zielen, zu den vielen Reportings und Meetings?

Hier die zweite Erkenntnis: In einer akuten Krise findet ganz viel Selbstorganisation statt; es wird demjenigen vertraut, der die größte Reputation zur Lösung von (neuartigen) Problemen hat; es wird über alle organisatorischen Grenzen hinweg zusammengearbeitet; Menschen übernehmen Verantwortung und treffen schnell und autonom Entscheidungen. Das ist Führung auf höchstem Niveau. Sie findet in vielen Fällen aber nicht geknüpft an die formelle Führungstätigkeit statt. Sie wird nicht durch einige wenige Führungskräfte, sondern durch sehr viele Menschen in unterschiedlichsten Rollen erbracht.

Auch hier gilt: Das ist eigentlich kein Krisenphänomen, es wird nur sichtbarer und selbstverständlicher. In Wirklichkeit findet diese Selbstorganisation und diese Führung immer statt, wenn es um Wertschöpfung in einem komplexen, dynamischen Umfeld geht. In normalen Zeiten allerdings nicht auf der Vorderbühne der Organisation im Scheinwerfer-Licht, sondern auf der Hinterbühne versteckt.

Dafür gibt es auch einen guten Grund: Diese Form der Führung – die Selbstorganisation – funktioniert in den meisten Fällen ja nicht wegen der formellen Organisationsstruktur und sie findet nicht im Rahmen des offiziellen Organisationsleben statt. Sondern es gibt sie trotz der formellen Organisation, oft auch im Widerspruch dazu, manchmal auch statt dessen.

Das ist die zweite Aufgabe: Wie kann ich diese Form der Führung auch abseits von Krisensituationen auf die Vorderbühne bringen? Wie schaffe ich es, dass meine Organisation das nicht erschwert, sondern erleichtert und unterstützt?

Da hilft kein Laissez-Faire, da helfen auch keine modischen Methoden oder schönen Experimente, sondern da muss ich wirklich systematisch an die Substanz der Organisation heran: Geschäftsmodelle klären, selbstverständliche Steuerungsmechanismen hinterfragen, Organisationsprinzipien verändern, einen geeigneten Rahmen für dezentrales und autonomes Handeln schaffen. Ist das eine leichte Aufgabe? Nicht unbedingt. Aber eine, die sehr lohnenswert ist!