Flipping Points sind kleine und große Entscheidungssituationen, die eine Organisation grundlegend verändern können. In diesen Situationen ist es möglich, eine neue Seite oder gar ein neues Kapitel in der Organisationsentwicklung aufzuschlagen. Auch wenn einem das oft gar nicht bewusst ist. Manchmal wird es einem auch erst im Nachhinein klar.

Was zeichnet solche Flipping Points in meinem Verständnis aus, woran sind sie zu erkennen?

  1. Sie schaffen jetzt die Möglichkeit, ein wichtiges Wertschöpfungsproblem zu lösen.
  2. Sie eröffnen jetzt eine Option, die Organisation menschengerechter zu gestalten.
  3. Sie bieten jetzt die Gelegenheit, sich als Unternehmen besser an komplexe und dynamische Marktanforderungen anzupassen.

Das Besondere: Sie tragen alle drei Potentiale gleichzeitig in sich. Flipping Points können natürlich große Entscheidungen über grundlegende Veränderungen sein. Es können aber genauso kleine, unauffällige Entscheidungen sein, die in Organisationen fast täglich getroffen werden. Auf jeden Fall sind sie eine Möglichkeit, einen organisatorischen „Schalter“ umzulegen und damit als Organisation von einem Zustand in einen neuen zu flippen. Sie sind die Aufforderung, sich für eine von mehreren Türen zu entscheiden, durch die man den nächsten Schritt machen will.

Hier ein paar Beispiele für Flipping Points, die ich in letzter Zeit in Organisationen erlebt und beobachtet habe:

  • Ein Geschäftsführer entscheidet sich, die anhaltenden Probleme im Vertrieb nicht mit der dritten Neubesetzung der Vertriebsleitung in 18 Monaten lösen zu wollen. Sondern indem funktional integrierte Business Teams etabliert werden, in denen alle für den Vertrieb mitverantwortlich sind.
  • In einem Produktionsunternehmen gibt es seit vielen Jahren schwerwiegende Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen einer Geschäftseinheit und der R&D. Der zuständige Business Head und der R&D Leiter entscheiden sich, das nicht durch die nächste Veränderung der formellen Organisationsstruktur lösen zu wollen. Sondern indem der Fokus diszipliniert auf die Freilegung und Stärkung der gemeinsamen Wertschöpfungsstruktur gerichtet wird.
  • Die Geschäftsführerin einer Non-Profit-Organisation entscheidet sich, das Recruiting für eine erfolgskritische, aber schwierig zu besetzende Position nicht über einen externen Personalberater durchzuführen. Sondern indem die weit reichenden informellen Netzwerke von wichtigen Personen in der Organisation strukturiert genützt werden und die Besetzung zu einer gemeinsamen Aufgabe von vielen gemacht wird.
  • In einer Pflegeeinrichtung halten die Pflegeteams in den ersten, besonders krisenhaften Monaten der Corona-Pandemie viele organisatorische Vorschriften und Verpflichtungen nicht ein. Es ist aufgrund der außergewöhnlichen Belastung schlicht nicht möglich und stößt auf großes Verständnis bei allen Verantwortlichen. Als wieder so etwas Ähnliches wie „Normalbetrieb“ möglich wird, entschließt sich der Geschäftsführer diesen „Schalter“ umgelegt zu lassen und den Teams auch dauerhaft möglichst viel Autonomie und möglichst wenig bürokratische Vorgabe zu geben.
  • Die Gründer eines erfolgreichen Start-Ups entscheiden sich, das rasante Organisationswachstum nicht auf dem üblichen Weg von Spezialisierung, Professionalisierung, Bürokratisierung und Hierarchisierung bewältigen zu wollen. Sondern durch eine dezentrale und zellartige Unternehmensorganisation ihr bisheriges Erfolgsmodell zu skalieren: Dass alle an einem Tisch sitzen, möglichst alle direkt für den Markt arbeiten und gemeinsam Verantwortung für den Markterfolg übernehmen.

Mir geht es mit diesen Beispielen nicht um die spezifischen Entscheidungen. Die sind sehr kontextspezifisch entstanden und nur vor dem jeweiligen Hintergrund zu bewerten. Mir ist es ein Anliegen, die große Fülle an ganz unterschiedlichen Flipping Points aufzuzeigen, die einem in Organisationen ständig begegnen. Manche der Flips sind so gewichtig, dass sie ganze Organisationen verändern werden. Manche Flips haben zuerst nur ganz kleine Auswirkungen, gemeinsam mit vielen weiteren Flips können sie aber ebenfalls große Veränderungen bewirken. Einige Flips bewirken genau das, was erwartet wird. Andere rufen sehr überraschende Entwicklungen, im positiven und im negativen hervor. Und schon bald taucht dann der nächste Flipping Point auf.

In diesem Sinne: Wo entdecken Sie den nächsten Flipping Point in Ihrer Organisation? Was wird Ihr nächster Flip sein, der die Organisation jetzt verändert?

Photo by Tim Johnson on Unsplash