Die beiden Corona-Jahre 2020 und 2021 hatten für HR den Charakter eines Dauer-Sprints. Von einem Lockdown in den nächsten. Vom Büro ins Home-Office (und wieder retour?). Hin und her zwischen Recruiting und Kurzarbeit. Schnell hinein in eine neue Realität aus virtueller Führung und Zusammenarbeit. Ständig getrieben vom wirtschaftlichen Risiko in unsicheren Zeiten. Da blieb wenig Luft zum Durchschnaufen, geschweige denn zum Innehalten und Reflektieren.

Auch wenn die Pandemie noch nicht vorbei ist, gibt es nun vielleicht wieder etwas mehr Gelegenheit, die eigene Tätigkeit zu hinterfragen. Als jemand, der jahrelang in der HR-Beratung und einige Jahre im HR-Management tätig war, möchte ich daher drei (selbst-)kritische Fragen an HR und damit auch an mich und meine frühere Praxis stellen.

  1. Arbeitet HR an einem echten Wandel – oder tun wir nur so, als ob?

Angesichts von Digitalisierung, agilen Transformationen und New Work entsteht der Eindruck eines enormen Wandels. Doch ein genauerer Blick zeigt: Trotz aller modischen Buzzwords und zahlreicher neuer Methoden bleibt es oft bei aufwendiger Kosmetik. Das System der Organisationen – die grundlegenden Rahmenbedingungen und Strukturen für Wertschöpfung, Zusammenarbeit und Leistung – bleiben häufig völlig unverändert.

Die altbekannte Unterscheidung zwischen der Arbeit im System und der Arbeit am System ist hier ein guter Indikator. Hand aufs Herz: Wie oft arbeitet HR an einer wirklichen Veränderung des Systems im jeweiligen Unternehmen? Damit es hier zu keinen Missverständnissen kommt: Die Arbeit im bestehenden System ist notwendig und wichtig (gerade in den letzten Monaten war hier viel zu tun). Sie führt aber nicht zu der Transformation, die gerne proklamiert wird.

  1. Sieht HR den Menschen vielleicht doch als Problem – ohne dass wir uns dessen bewusst sind?

Wenn eine Veränderung dann nicht die erhoffte Wirkung hat, wenn die Frustration groß und der Erfolg klein bleibt, wird nach den Ursachen gesucht. Unsere Führungskräfte kriegen das nicht hin. Unsere Leute haben den falschen Mindset. Die Kultur passt einfach nicht. So oder so ähnlich lauten dann oft die Begründungen. Dann gestaltet HR die Führungskräfte-Entwicklung neu. Oder sucht gleich nach neuen Managern. Es wird der Kulturwandel ausgerufen und am Mindset gearbeitet.

Ganz ehrlich: Dahinter steht doch die Annahme, dass die Menschen das Problem sind. Und sich daher ändern müssen. Damit das mit dem Wandel endlich klappt. Das ist dann aber Arbeit am Menschen. Die ist nicht nur unwirksam, sondern auch schädlich. Weil sie echte Entwicklung von Menschen und Organisationen be- und verhindert.

  1. Ist die Organisation der blinde Fleck von HR – oder ist sie gar nicht ihre Aufgabe?

Dieser Fokus sorgt auch dafür, dass der Kontext, in dem Menschen tätig sind, häufig seltsam unbeleuchtet bleibt. Das mag im (funktionsbedingten) Hang von HR zur Personalisierung und Psychologisierung begründet liegen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es zu wenig Kompetenz, Motivation oder Auftrag gibt, die Organisation wirklich zu gestalten?

Nicht als eine der vielen oft wirkungslosen formellen Re-Organisationen. Sondern als ernsthafte, vom Geschäftsmodell geprägte Veränderung von Wertschöpfungsstrukturen und Organisationsprinzipen. Als Wandel, der nicht von oben nach unten, sondern von außen (dem Markt) nach innen (der Organisation) gedacht und gemacht wird. Mit der Gewissheit, dass die Menschen dafür bereit sind. Ist HR in der Lage, mit ihnen und für sie daran zu arbeiten?

 

Dieser (leicht adaptierte) Artikel ist 2021 ursprünglich bei HRweb erschienen: https://www.hrweb.at/2021/08/3-selbst-kritische-fragen/